DAS MOVE!-FESTIVAL 2016 IST ERÖFFNET

BEAUTY OF THE BEAST

„Move! – Krefelder Tage für modernen Tanz“ in der Fabrik Heeder eröffnet mit der Company Chameleon aus Manchester – In „Beauty of the Beast“ präsentieren sechs exzellente Tänzer die Schönheit der Bestie Mann.

Von Bettina Trouwborst

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Als „unverzichtbaren Teil der Tanzlandschaft Nordrhein-Westfalens“ bezeichnete Stefanie Jenkner, Sprecherin des Kulturministeriums, das Festival „Move! – Krefelder Tage für modernen Tanz“ bei der Eröffnung seiner 15. Jubiläumsedition in der Fabrik Heeder. Für die Tanzszene des Landes sei es eine wichtige Plattform geworden. Das hörte Jürgen Sauerland-Freer natürlich gern. Der Leiter des Krefelder Kulturbüros blickte kurz zurück auf die Anfänge, als vor 22 Jahren das Ensemble Mind The Gap hier auftrat. Der Name der britischen Tanzcompany sei aus heutiger Sicht richtungweisend gewesen – „Beachte die Lücke“: Einen Aufführungs- und Produktionsort für den zeitgenössischen Tanz habe man entwickeln wollen. Und heute sei, so Sauerland-Freer, ‚Move!‘ das Herzstück des Engagements der Stadt Krefeld für den zeitgenössischen Tanz. Neben den Produktionen aus NRW blitzen jedes Jahr Gastspiele eines anderen Landes als Highlight auf: Diesmal sind drei britische Tanzstücke zu sehen – von wegen Brexit. Zum Auftakt feuerte die Chameleon Company aus Manchester eine geballte Ladung Testosteron in dem gut gefüllten ehemaligen Fabrikgebäude ab.

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In „Beauty of the Beast“ präsentieren sechs exzellente Tänzer die Schönheit der Bestie Mann. Zwischen schmunzelnder Selbstironie, Nachdenklichkeit und Dramatik wirbeln die ansehnlichen Mannsbilder durch eine Stunde kontrastreicher Szenen. Und strapazieren alle Klischees.

Typisches Männlichkeitsgehabe hat schon viele Künstler beschäftigt – auch Choreografen. Robert North zum Beispiel, seit 2007 Ballettchef der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach, hat mit seiner Parodie „Troy Game“ für das London Contemporary Dance Theatre 1974 einen Welterfolg erzielt und einen modernen Ballett-Klassiker geschaffen. Ein schöner Zufall, dass die Männer aus Manchester jetzt eine zeitgenössische Version in Krefeld vorstellten.

Kleider machen Kerle. Ein Motiv, das sich von der Anfangs- bis zur Schlussszene durch das Tanztheater zieht. Mit freiem Oberkörper, also quasi unschuldig, bewegt sich ein Tänzer geschmeidig zu dramatisch-schwerer Musik durch den Raum ohne Requisiten. Ein zweiter gesellt sich dazu, und man gleitet geradezu schwerelos dahin. Das elegische Duett wird jäh unterbrochen von einem betont coolen Typen mit Mütze, Kapuzenjacke und Lederjacke darüber – beinahe die Karikatur eines Gang-Anführers. Wie so oft an diesem Abend, kommt es zu einer höchst ästhetischen Rangelei mit kühnen Sturzflügen und rasanten Sprüngen. Die Choreografie von Anthony Missen kombiniert Elemente diverser Tanzstile – von klassischem Ballett über Jazztanz und Modern Dance bis zu Hiphop – mit Sprache. Er reiht kleine Szenen aneinander mit bisweilen überraschenden Übergängen. So taucht aus dem Hintergrund im Halbdunkel, wild gestikulierend und grimassierend, die Gang auf. Gefahr liegt in der Luft. Soweit die Rahmenhandlung.

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Es ist ein Nachteil des Stückes, dass sich Szenen der nun folgenden Art zu oft wiederholen: typisch männliche Drohgebärden, physische Aggressivität, die sich in derb-dynamischem Tanz entlädt, und schließlich kumpelhaftes Beschwichtigen. In tänzerischen Duellen wird aus Anlehnen Wegstoßen, aus Stützen Schubsen, aus Tragen Wegwerfen. Der Coole schmeißt aus einer Tasche den beiden Neuen lässige Klamotten im Dresscode seiner Gang hin. Mit Humor bricht Anthony Missen die schwelende Bedrohung: Der farbige Solist mit Rasterlocken rümpft die Nase ob seiner aus dem Kleider-Rahmen fallenden türkisblauen Shorts. Sie stempelt ihn zum Außenseiter. So hat er ein Aufnahmeritual zu absolvieren zwischen Spaß und schwelender Bedrohung.

Das Stück rhythmisieren Soli, die die virtuosen Gruppenszenen unterbrechen. Sie präsentieren das männliche Individuum ungeschützt, allein und voller Selbstzweifel in seiner Verletzlichkeit. Das nächste Klischee wäre damit auch bedient: raue Schale, weicher Kern. So erzählt der angeberische Anführer am Boden liegend, angestrahlt von einem intimen Licht-Rechteck, von einem Traum mit seinen Eltern. Die stärkste Szene zeigt den muskulösesten, auch tätowierten Darsteller. Er entledigt sich seiner Straßenkleidung und wirkt in Unterhose mit hochgezogenen Schultern und  aufgerissenen Augen plötzlich klein und verloren. Seine Aggressivität, aber auch sein Bedürfnis nach Zuwendung tanzt er sich beeindruckend intensiv aus dem Leib. Ein starkes Solo. Schließlich kommt der „Chef“ dazu und reicht ihm ein frisches Oberhemd. Der Mann erfährt durch sein neues seriöses Outfit mit Sakko und Lederslippers eine krasse Persönlichkeitsveränderung.

Ende vom Lied: Letztlich sind all die harten Jungs auf der Suche nach sich selbst. Um es mit Herbert Grönemeyer zu singen: „Männer sind auch Menschen.“ Das Publikum fühlte sich gut unterhalten und applaudierte warm.

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