„A BIG BIG ROOM FULL OF EVERYBODY’S HOPE…“
FAMILY AFFAIRS…. FAMILIENGESCHICHTE(N)
…Waren IM RAHMEN VON „UNDER CONSTRUCTION“ des geplanten Pina Bausch Zentrums in Wuppertal zu sehen
Impressionen und Gedanken dazu von Klaus Dilger
Amit Noy war im Jahr 2022 Stipendiat des „Pina Bausch Fellowship“, ausgelobt und vergeben durch die „Pina Bausch Foundation“ und die Kunststiftung NRW und der von ihnen hierfür ausgewählten Jury.
Gelegenheit (und Grund) also zu sehen und kennenzulernen, wie einer der Fellows künstlerisch kreativ arbeitet und wohin sich eine solche Arbeit zu entwickeln vermag, wenn sie entsprechende Chancen hierfür erhält.
Amit Noy versteht, laut Vorstellungs-Interview der Foundation, Tanz und Choreografie als Mittel, um mit dem Körper zu erfahren, wo sein Platz in der Welt ist. Er versteht Kreativität als Kraft – als sehr unmittelbar, wild und wahr.
In der Jurybegründung zur Fellowshipvergabe hiess es:
„Amit Noy macht Tänze über unlösbare Fragen und Geschichten, die in unseren Körpern leben, oft in Verbindung mit einem queeren gemischten jüdischen Erbe. Amit hat mit Familienmitgliedern zusammengearbeitet, um generationsübergreifende Performances über das Überleben des Holocaust, die Schrecken von Körperlichkeit und das Leben mit Zwangsstörungen zu kreieren. Dabei entdeckt Amit die tägliche Praxis von Liebe und von dauerhaften Beziehungen. Im Mittelpunkt seines Stipendiums steht die Begegnung mit Miguel Gutierrez, den Amit als ‘choreografischen Vorvater’ betrachtet. Gutierrez‘ Arbeit ist für Amit von großer Bedeutung, da sie eine tiefe, persönliche Verwandtschaft im Bereich des Kreierens teilen. Es ist eine Gelegenheit, Amits kreativen Werdegang auszubauen, der Performance, Choreografie, Schreiben und Unterrichten umfasst.”
„A BIG BIG ROOM FULL OF EVERYBODY’S HOPE“, das nun im Alten Schauspielhaus Wuppertal zu sehen war, ist sehr persönlich, was auch dem Umstand geschuldet sein mag, dass drei Generationen (s)einer Familie diese so betitelte Performance auf die Bühne und eine Leinwand in deren Hintergrund bringen. Nur Amit Noy ist professioneller Performer | Tänzer und bestimmt mit seiner Auseinandersetzung mit Balanchine’s Ballett “AGON” aus dem Jahr 1957 zur Musik von Igor Strawinsky, einen Großteil der Performance, auch wenn nie wirklich deutlich wird, weshalb er dies tut. Gerade die visionäre Kraft Balanchine’s, zu seiner Zeit ein technisch solch anspruchsvolles Stück zu erarbeiten, das vor allem von den Männern damals kaum adäquat getanzt werden konnte und sich viel später erst zu seiner vollen Bedeutung entfalten konnte, hätte Stoff geboten, mit dem sich Amit Noy hätte auseinandersetzen können. Hierin inbegriffen Genderfragen. Tat er aber nicht, oder konnte es nicht vermitteln. Die anderen Familienmitglieder sind keine professionellen Performer, auch wenn sie sich authentisch bewegen, sprechen, singen und, wie das jüngste Familienmitglied im Teenager-Alter, sogar offensichtliches Talent mitbringen.
Die geschätzt vierzig Zuschauenden schauen zu.
Manchmal amüsiert, manchmal kommt Betroffenheit auf, so wie bei den, über Video eingespielten, Erinnerungen der Grossmutter an den Holocaust, die auch dann noch und immer wieder berühren, selbst wenn es viele (und bessere) Beispiele gibt, in denen solche „Einspielungen“ einem Stück oder einer Performance plötzlich das Unfassbare einer solchen Realität vor Augen führt.
Wenn aber die schiere menschliche Grösse einer Margot Friedländer, wie in der grossartigen und mutigen Performance „JEWROPE“ von bodytalk, gemeinsam mit dem Polish Dance Theater aus dem Jahr 2014, „das Verzeihen aber niemals vergessen“ ausspricht, dann treffen Hoffnung und Verzweiflung im Inneren der Zuschauenden aufeinander und machen diese zu Miterlebenden.
Hier schauen wir der „Hoffnung“ lediglich zu und freuen uns bestenfalls für die sympathische Familie, dass sie ihr Familienglück erleben und teilen darf.
Das entstandene Stück ist ein Experiment, eine Versuchsanordnung: „Seit 2020 unternimmt Amit Noy choreographische Experimente mit seinen Familienmitgliedern und erforscht die Komplexität verkörperter Verwandtschaft… Wie bewegen sich Körper miteinander, wenn einige von ihnen andere zur Welt gebracht haben? Wie werden Erfahrungen von Generation zu Generation weitergegeben? In „A big big room full of everybody’s hope“ sind vergangene, gegenwärtige und zukünftige Zeiten in den Körpern der Darsteller und Darstellerinnen präsent“, heisst es dazu im Programmzettel.
Die physische Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn Noy hätte vielleicht das Potential gehabt, zumindest die Fragen zur Manifestation zeitlicher Präsenz in den Körpern über das rein persönliche hinauszuheben – insbesondere sei hier an das eingangs zitierte Jury-Statement erinnert. Allein es wurde zu keinem Zeitpunkt wirklich vertieft und eingelöst und so das Stück über das Persönliche hinausgehoben oder entwickelt.
Wer Kunst erhofft oder erwartet hatte, wurde vermutlich enttäuscht, wer einen sympathischen Familienabend erleben wollte, ging wohl lächelnd nach Hause oder wohin auch immer…
Viel überraschender als der Abend, dem es eigentlich genau daran mangelte, ist so gesehen die Liste der internationalen Co-Produzenten, die als solche allein schon „Big Big Hope in Everybody’s Room“ erzeugt und folgerichtig für Erwartungen und Enttäuschung gesorgt haben könnte.