schrit_tmacher festival in Aachen
Pulsierende Körperlichkeit
Die National Dance Company Wales zeigt in der Fabrik Stahlbau Strang in Aachen PULSE
Von Thomas Linden
Von den Melodien des Walzers bleibt niemand unberührt. Der Dreivierteltakt bringt etwas in uns zum Schwingen, dessen physiologischer Konsequenz wir uns nicht entziehen können. Ein sozusagen archaisches Moment, das Marcos Morau in seinem Stück „Waltz“ choreographisch visualisiert. Wie sieht das was, was wir hören aus? In seiner Arbeit für die National Dance Company Wales beginnt alles mit einem amorphen Gemenge aus schlangenartigen Tentakeln, die sich nach allen Richtungen winden. Aber auch dieses Urknäuel wiegt sich schon geschmeidig nach den Klängen dieser verführerisch-akustischen Reize vom Flussufer der Donau. Marcos Morau, der immer wieder Choreographien für das Tanzhaus Stuttgart schuf, gelingt mit diesem Stück ein unvergesslich origineller Tanzmoment.
In der Aachener Fabrik Stahlbau Strang präsentierten die Waliser das Stück in enganliegenden Ganzkörperanzügen, die nicht einmal das Gesicht frei gaben. Dunkel glitzernd verschmelzen die anonymen Körper zu einem vielarmigen Wesen, das sich streckt und zusammenzieht, sich in Einzelteile auflöst und wieder zu einem Tausendfüßler vereinigt. Gleich hier zu Beginn des zweistündigen Tanzabends spielen die Waliser eindrucksvoll die größte Trumpfkarte ihres Könnens aus. Sie funktionieren als Ensemble mit einer Sicherheit und Präzision, die einen staunen lässt. Es ist die Geschmeidigkeit, die zur eigentlichen Botschaft dieser Choreographie wird. Was der Musik geschuldet ist, wird hier nur zu gerne eingelöst. Eine taktile Verführungs-Orgie aus acht männlichen und weiblichen Körpern, die mit dem Schimmer des Lichts spielen. Hände gleiten über Kopf oder Taille, lustvoll modellierend. Und als plötzlich die Masken fallen, richten sich die Augen mit festem Blick ins Publikum.
Die Bewegungsabläufe gehen nicht in den seligen Walzerdrehungen auf, wie wir sie aus den Wiener Ballsälen kennen. Die fließenden Körpergesten werden vielmehr abrupt gestoppt. Gleich einer Amphibie, deren Glieder langsam voranschreiten, um dann plötzlich inne zu halten, findet ein unaufhörlicher Tempowechsel statt. „Pulse“ lautet der Titel, den die Waliser ihrem Tanzabend geben. Hier sind die Impulse in wunderbare Körperlichkeit umgesetzt. In der zweiten Produktion „Say Something“, die diese innovative Truppe in Aachen zeigte, demonstrierte sie die kreative Dimension des plötzlichen Einfalls. Hier lümmelt eine Gruppe Tanzender auf der Probe herum. Man zieht die Socken an, nimmt einen Schluck aus der Thermosflasche und scherzt miteinander bis eine junge Frau zu tanzen beginnt. Es sind nur kurze Phrasen, tausendmal gesehen. Irgendwie ohne Bedeutung, ein Ausprobieren. Die Waliser zeigen uns, wie der Moment aussieht, in dem der Inspirationsfunke noch nicht übergesprungen ist. Eine Situation der Langeweile, alle Fäden hängen noch lose herab, man trainiert Elemente aus dem Breakdance und dem Hip-Hop.
Aber dabei bleibt es natürlich nicht. Die Impulse werden schon von den harten Elektro-Beats der Musiker MC Zani und Dean Yhnell vorgegeben. Die Tanzkompanie aus Cardiff gibt uns einen Einblick in die Inspirationsprozesse des Tanzes. Denn nachdem einmal jemand der Vortänzerin gefolgt ist, wächst das Duo zum Trio heran, andere kommen dazu und dort, wo zuvor keine Konsistenz war, erhalten die Bewegungen plötzlich Bedeutung. Die Dance Company zeigt, wie sich aus den Bewegungen des Alltags, die der Funktion folgen, eine Sprache des Körpers entwickelt. Sie öffnen die Werkstatt ihrer Profession und demonstrieren uns, worin sich die Tanzkunst von Alltag und Sport unterscheiden. Es ist viel Humor in diesem Tanzstück, das im Titel schon andeutet, dass zunächst irgendetwas geschehen muss, damit sich die Möglichkeit zur Improvisation überhaupt erst ergeben kann. In ihrem intelligent geknüpften Beziehungsgeflecht von Ton und Bild werden auch in der Akustik Rudimente wie Räuspern, Schnalzen und Schlucken in Körperbewegung übersetzt. Dass sich Rap und Tanz fast schon bedingen, wird uns in einer Art Fingerübung vorgeführt. Diese Mischung aus strengem Formbewusstsein und einer freundlich-energetischen Lässigkeit, riss das Publikum in Aachen unweigerlich mit. So gab es denn auch fast wie auf Kommando eine Standing Ovation.